Interview

Interview mit Eckehard Bamberger

Sehr geehrter Herr Bamberger, Sie sind studierter Musikwissenschaftler, Philosoph und Kunsthistoriker. Ein Leben lang haben Sie sich auch intensiv mit der Theologie und religiösen Fragestellungen beschäftigt und können auf eine rege Publikationstätigkeit zurückblicken. Was treibt Sie an, sich auch heute noch für dieses Thema zu engagieren?

„Es ist ein Kampf gegen die Beliebigkeit und Orientierungslosigkeit. Das klingt jetzt so abstrakt, ist es aber nicht. Ich bin in der Zwischenkriegszeit geboren, mitten in einer der schwersten Krisen Europas, und habe meine Kindheit im schrecklichsten Krieg aller Zeiten verlebt. Ich habe gesehen, was die Verzweiflung und der Verlust von Liebe und Vertrauen in uns Menschen anrichten können. Wir hatten nach dem Zweiten Weltkrieg einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung, der jedoch mit einem Verlust des Glaubens einherging. Ich habe das über sehr lange Zeit beobachtet und für mich ist klar: Es ist mir nicht egal. Ich sehe nicht einfach resignierend dabei zu, wie auf Gott vergessen wird.“

Sie stammen aus einem gläubigen Elternhaus und waren schon von Jugend an in katholischen Organisationen aktiv. Später wurden Sie bei Vorlesungen an der theologischen Fakultät auch mit den Konzepten des Atheismus vertraut. Waren Sie als junger Student jemals verwirrt, verunsichert oder haben an Ihrem eigenen Glauben gezweifelt?

„Ich war immer sehr neugierig, wollte mein Wissen erweitern und verstehen, wie es sowohl um die Lehren der katholischen Kirche als auch um den Atheismus bestellt war. Aber für mich war immer klar, dass eine Welt ohne Gott für mich sinnlos, nicht vorstellbar ist. Das wurde mir immer deutlicher, je näher ich mich mit dem Atheismus beschäftigt habe. Er ist nicht nur einfach ein Fehlen von Religion. Der Atheismus verhält sich wie ein Narzisst gegenüber seinem Opfer: Er stellt jedes natürliche Gefühl für Wahrheit infrage, der moderne Begriff dafür ist ‚Gaslighting‛. Am Ende weiß das Opfer nicht mehr, was es wirklich empfindet, was wahr und richtig ist, und verliert fast seinen Verstand.“

Warum glauben Sie, dass der Atheismus falschliegt? Was hat Sie von der Existenz Gottes überzeugt?

„Der Atheismus stellt Fragen, die uns verunsichern, die uns zweifeln lassen. Aber er gibt uns nur diese Unsicherheit, keine Antworten. Wenn wir Antworten suchen, finden wir nur eine große Leere. Er entzieht sich den wichtigsten Fragen der Menschheit durch Nihilismus. Im Atheismus wird alles, was uns wichtig ist und Bedeutung hat, kalt und sinnlos. Dieser Zynismus, dieses Leugnen von allem, was uns Menschen an Gutem in die Wiege gelegt ist, kann zu einer Abkehr von diesem Guten führen. Das ist eine große Gefahr, die mir schon früh bewusst wurde.“

Wenn der Atheismus aber nur eine abstrakte Lehre ist, die keine Antworten geben kann: Welche Gefahr stellt der Atheismus für Sie dar?

„Fast jeder Mensch hat tief in sich ein natürliches Gefühl für das Richtige. Nennen Sie es einen Instinkt, eine Liebe zum Leben. Kinder, die ein Grab für eine Hummel graben, oder Menschen, die, ohne nachzudenken, ihr Leben für andere riskieren, das sind solche Beispiele vom ganz Kleinen zum Großen. Dieser Instinkt, er ist unser Weg zu Gott. Er leitet uns an, zeigt uns den richtigen Weg. Tief drinnen wissen wahrscheinlich sogar die schlimmsten Verbrecher, dass sie etwas furchtbar Falsches tun. Das ist es, was ich meine. Der Atheismus arbeitet gegen diese innere Stimme, die Stimme Gottes in uns.“

Welche Fragen sind es, auf die der Atheismus keine Antwort gibt? Er geht davon aus, dass die Welt und somit der Mensch nicht einem göttlichen Prinzip entstammen, dass es keinen Plan gibt. Damit wäre doch alles recht einfach?

„Die Wissenschaft macht rasend schnelle Fortschritte, jeden Tag gibt es neue, bahnbrechende Erkenntnisse. Wir erhalten einen immer tieferen Einblick in den Plan dieser Welt, deren Teil wir sind. Je tiefer wir graben, je mehr wir wissen, umso mehr wird klar: Diese Welt ist ein Wunder, alles steht auf feinsten Ebenen miteinander im Zusammenhang, im Gleichgewicht. Der Nihilismus sieht den Menschen als toxisch, als Gefahr für diesen Planeten, anstatt ihn als Teil des Ganzen zu verstehen. Wir müssen uns bewusst werden, was es bedeutet, dass wir eine gestaltende Kraft auf Erden besitzen, welche Verantwortung damit verbunden ist. Ich bin überzeugt, dass es gerade diese Verantwortung ist, die uns von Gott für die Welt auferlegt wurde. Wer diese Verantwortung von sich weist, gerät in Gefahr, das göttliche Gleichgewicht zu stören, den falschen Weg zur Gottlosigkeit, zum Verbrechen einzuschlagen. Und damit, um auf Ihre Frage zurückzukommen, ist es eben gerade nicht einfach.“

Nun zur katholischen Kirche. Sie weisen in Ihren Büchern deutlich darauf hin, dass nicht nur der Glauben selbst bröckelt, sondern vor allem auch die Gemeinschaft der Kirche. Wo sehen Sie die Probleme?

„Die katholische Kirche ist kein kleiner Sparverein mit Stammtisch. Es ist eine riesige, weltweite Organisation von Gläubigen, die sich dieser Kirche – nicht nur der christlichen Religion selbst – zugehörig fühlen. Die Kirche hat sich im Verlauf der Jahrhunderte stark verändert, da sie von Menschen geleitet wird. Vieles, was heute so stark an ihr kritisiert wird, ist längst Vergangenheit und manches muss noch bearbeitet werden. Auch Mitglieder der Kirche sind nicht immun gegen den falschen Weg, gegen das Verbrechen und das Schlechte. Doch müssen wir nicht nur das sehen, sondern auch, welche Möglichkeiten, ja, welche Macht eine solche Institution hat. Wie viel Positives sie für die Menschen zu leisten vermag, wie viel sie zum Guten hin verändern kann. Ich spreche hier von Macht im idealen Sinn, der Macht einer Gemeinschaft, die von der Politik unabhängig ist. Die Kirche hat ein unglaubliches Potenzial, sich als Kraft neben die Menschen zu stellen, wenn es darum geht, einer gottlosen Politik, die den Menschen schaden will, die Stirn zu bieten. Hier sehe ich das Problem, das uns letztlich der nihilistische Ansatz des Atheismus gebracht hat: nur noch das Schlechte, Negative wahrzunehmen, nicht aber die Lösungswege, das Licht, die Hoffnung, die Möglichkeiten.“

Was bedeutet die katholische Kirche für Sie persönlich?

„Für mich gehören mein Glaube und die Kirche zusammen, sie bilden eine Einheit. Viele sagen heute: Ich glaube an Gott, aber die katholische Kirche kann mir gestohlen bleiben. So habe ich das nie gesehen. Für mich waren die Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen, auch die Institution mit ihren Mitgliedern, immer eine Heimat. Gemeinschaft ist, glaube ich, das Schlüsselwort. Die Kirche funktioniert nur als Gemeinschaft. Obwohl sie nicht demokratisch strukturiert ist, sondern an gültigen Glaubenssätzen orientiert, setzt sie sich wie ein riesiger Organismus aus den kleinsten Zellen der Pfarrgemeinschaften zusammen, die eine enge Verbundenheit haben. Wenn ich heute eine leere Kirche zu den Gottesdiensten sehe, blutet mir das Herz. Denn Einsamkeit, die Vereinzelung des Menschen, das ist nicht der Sinn der Kirche. Die Kirche ist Gemeinschaft, Liebe, Zusammenhalt, Geborgenheit, Heimat. Das bedeutet sie für mich. Und das kann auch jeder dort finden.“

Wie stehen Sie zu unserem Papst Franziskus und seinem doch eher „modernen“ Führungsstil? Kann er die katholische Kirche wiederherstellen, die Menschen wieder für die Kirche begeistern?

„Obwohl das oft so dargestellt wird, ist ein Papst kein Popstar und auch kein Influencer. Eine solche Figur richtet sich nach den gängigen Moden, nach der Meinung der Masse. Die Aufgabe eines Papstes aber ist es, über den Launen der Zeit zu stehen, die Glaubenssubstanz des Christentums zu repräsentieren, die letztlich unveränderlich ist. Er muss eine integrative Persönlichkeit voller Liebe und Respekt für das Leben sein, aber kein Wendehals. Er muss dem Sog einer aufgebrachten Gesellschaft standhalten, dem weißen Rauschen des Nihilismus. Papst Franziskus mag ein Liebling der Medien sein, er ist fotogen, charmant und eloquent – und das ist gut so, so einen Papst brauchen wir. Doch die Vorstellung vieler, dass er sich nach ihren Wünschen richten wird, kann und wird nicht eintreten. Er kann sich immer nur nach Gott ausrichten und im Rahmen dieses Weges Entscheidungen treffen.“

Worin sehen sie dann den Weg in die Zukunft der Kirche? Was hat sie den Menschen noch zu sagen?

„Ganz viel. Wir leben in einer Zeit der Orientierungslosigkeit, der Entwurzelung. Die Menschen verlieren ihre Basis, ihre innere Sicherheit, das, was ich schon angesprochen habe: ihren Instinkt, der ihnen den Weg zu Gott weist. Die Kirche hat es zu allen Zeiten vermocht, diesen Weg immer neu auszuschildern, diesen Weg gemeinsam, Hand in Hand mit den Menschen zu gehen. Gerade jetzt, in der Zeit der Pandemie, wurde vielen Menschen bewusst, wie sehr ihnen plötzlich die Gemeinschaft fehlt. Diese Gemeinschaft können Menschen in der Pfarrgemeinde, in der Kirche finden. Hier ist die kleinste Zelle der Kirche, das Nest. In einer medial überfrachteten Welt, in der es nur noch Hiobsbotschaften und Nachrichten des Schreckens zu geben scheint, kann die Kirche Halt, Ruhe, Besinnung auf das Wesentliche sein. Wenn die kleinste Zelle, der Mensch, die Familie, ihre Hoffnung und ihren Glauben verlieren, wie soll es dann im Großen funktionieren? Wir haben eine Aufgabe: Zuerst müssen wir für uns selbst Verantwortung übernehmen, uns selbst aufrichten und Kraft für den richtigen Weg finden – dann können wir den Weg Gottes auch im größeren Rahmen beschreiten. Uns auf unsere eigene Kraft besinnen, die Kraft Gottes, die in jedem von uns wohnt, das ist es, was uns die Kirche zu sagen hat.“

In Ihrem jüngst verlegten Werk „Gott und die Welt“ schlagen Sie einen recht kämpferischen Ton an, es ist eine Abrechnung mit dem Atheismus. Wird man mit dem Alter nicht milder?

„Nein, im Gegenteil, man wird ungeduldiger. Ich habe so viele Jahrzehnte beobachtet, gearbeitet und publiziert, Vorträge gehalten und Interviews gegeben. In meinem jüngsten Buch war es mir wichtig, noch einmal meine Gedanken in aller Klarheit zusammenzufassen, deutlich zu werden. Es ist mir nicht wichtig, was der Mainstream gerade über Gott und die katholische Kirche denkt und welches Gift in den Medien verbreitet wird. Mir ist wichtig, dem etwas entgegenzuhalten. Ich stelle mich hin und sage ihnen ins Gesicht, wie falsch sie liegen und wie sie sich und die ganze Welt mit ihrer Bosheit zerstören. Ich setze mich nicht hin und denke: hinter mir die Sintflut. Jeder Mensch hat eine Aufgabe im Leben oder schafft sich eine – nur Nihilisten sehen das anders. Sie sagen, alles ist sinnlos, die Welt geht den Bach hinunter. Ich sehe es als meine Aufgabe, das aufzudecken, was den Atheismus ausmacht: Er ist ein Weg in die Verantwortungslosigkeit, in die Hoffnungslosigkeit, die Selbstauslöschung, in den Selbsthass. Dem stelle ich mich entgegen, in aller Klarheit. Es gibt einen anderen Weg, einen Weg der Fürsorge, der Hoffnung, der Liebe – für uns selbst und für andere, für die gesamte Schöpfung.“

Was bedeutet Ihnen Spiritualität, jetzt einmal unabhängig von der Kirche? Wann haben Sie Ihren persönlichen Zugang dazu gefunden?

„Während meiner Studienzeit in Innsbruck verbrachte ich einige Jahre im dortigen Franziskanerkloster, wo ich in einer kleinen Zelle Quartier fand. Sie war spärlich eingerichtet, ein Strohsack diente mir als Bett. Auf dem Plafond dieser Zelle war ein „Sternenhimmel“ aufgemalt, der mir zu einer Art Meditationshilfe wurde. Ich konnte mich ganz in diesem Anblick verlieren und fand meine innere Ruhe dabei. Ja, man könnte sagen, das war mein erster Weg in die Spiritualität.“

Warum gerade die Franziskaner, ein Bettelorden mit strengen Regeln? Stand das nicht Ihrem jugendlichen „Sturm und Drang“ entgegen?

„Nein, diese Ordensgemeinschaft war für mich ein Beispiel für Liebe und Güte. Ich erzähle Ihnen eine Begebenheit von damals. Ein sehr gütiger und geduldiger Ordensbruder schenkte jeden Mittag an der Pforte den armen Leuten, die sich um eine warme Mahlzeit anstellten, eine Klostersuppe aus. Eines Tages schmeckte einem Hungrigen die Suppe so gar nicht und er schüttete diese mit einer heftigen Bewegung auf den Boden. Darauf der Pater: ‚Gell, schmeckt´s dir ned, i bring dir wos anderes!‘ Mit dieser Reaktion hatten weder ich noch der Mann gerechnet. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis gelebter Demut und Nächstenliebe!“

Wollten Sie auch in diesen Orden eintreten?

„Das war nicht mein Ziel, denn ich wollte immer eine Familie. Und auch dazu gibt es eine Anekdote: Ein junger Ordensbruder, der sich im Herzen nicht wirklich mit dem Leben im Kloster anfreunden konnte, war eines Tages unauffindbar. Alle suchten vergebens, bis unter seinem Bett sein langer abgeschnittener Bart gefunden wurde. Er hatte diesen dort versteckt und war in der Nacht über die Klostermauern in die ‚Freiheit‘ abgehauen. Nicht jedem ist es gegeben, ein Mönch zu werden!“